02.04.2021

Fabrik C. A. Roscher Nachfolger / Hans Hartung KG / VEB Garnveredlungswerk

Fabrik C. A. Roscher Nachf. Stammfabrik in Markersdorf

Mit der in den Jahren um 1840 entstandenen direkten Verbindung zwischen Mittweida und Burgstädt begann auch die industrielle Entwicklung von Markersdorf. 1860 wurde die Strumpffabrik C.A. Roscher gegründet, die ab 1866 unter dem Namen C. A. Roscher Nachfolger A.G. firmierte. (1)

C. A. Roscher (Carl-August Roscher, 1832-1922) war zunächst ein Claußnitzer Strumpfwirkermeister gewesen. Neben der Textilproduktion in Claußnitz und Markersdorf entwickelte er sehr frühzeitig hochproduktive Textilmaschinen und erwarb die Patente darauf. (2) So hat der Wirkwaren-Fabrikant C. A. Roscher beispielsweise die Lamb'sche Strickmaschine wesentlich verbessert (7). Schließlich verlegte er sich in seinem Werk in Mittweida ganz auf den Maschinenbau. (2)

Die Fabrik in Markersdorf wurde 1886 vom neu gegründeten Unternehmen C. A. Roscher Nachfolger von Rathgeber und Lieske übernommen. Es wurden weiterhin feinste Trikotagen hergestellt und das Geschäft wuchs in den folgenden Jahren immer weiter. Einen großen Anteil daran hatte schließlich der Export der von der Firma C. A. Roscher Nachfolger hergestellten Textilprodukte. Das stetig steigende Auftragsvolumen machten Erweiterungen der Fabrikgebäude in Markersdorf nötig. Zudem entstand in Wiederau mit einem Fabrikneubau eine erste Zweigstelle. (10)

Postkarte Markersdorf Tricotagenfabrik C. A. Roscher Nachf. / Restaurant "Germania" Postkarte Markersdorf Tricotagenfabrik C. A. Roscher Nachf. / Restaurant "Germania"


Der wirtschaftliche Erfolg der Firma führte insbesondere nach der Eröffnung der Chemnitztalbahn im Jahre 1902 zur Suche nach weiteren Produktionsstätten. So wurde schließlich die zu dieser Zeit fast leerstehende Fabrik der Firma Tetzner & Sohn in Köthensdorf-Reitzenhain käuflich erworben. Das bestehende Fabrikgebäude wurde umgebaut und ein weiteres Stockwerk mit reichlich Tageslicht einlassenden Fenstern entstand. Diese Fabrikgebäude, später als "Doppelmoppel" bekanntgeworden, stehen noch heute am Chemnitztalradweg am unteren Ortsteil von Köthensdorf-Reitzenhain. In den Fabriken in Markersdorf und Wiederau beschäftigte die Firma C. A. Roscher Nachfolger zu diesem Zeitpunkt etwa 600 Mitarbeiter. (10)

Der erste Weltkrieg führte von 1914 an zum Ausbluten der Firma. Viele männliche Kräfte wurden zum Heeresdienst eingezogen und auch der einsetzende Materialmangel führte zu wochenlangen Stillständen der Produktion. Diese Zustände verschlimmerten sich besonders in den Jahren von 1916 an immer weiter. Nach dem Ende des ersten Weltkrieg 1918 standen viele Textilfabriken vor massiven Schwierigkeiten und so suchte der Commerzienrat Rathgeber zusammen mit weiteren kapitalkräftigen Fabrikanten 1928 eine Lösung der Probleme mit einer Umwandlung in eine Aktiengesellschaft. An dieser neu gebildeten Gesellschaft waren vier größere Strickwarenfabriken mit 11 auseinanderliegenden Firmen beteiligt. Aus den Anfangsbuchstaben der beteiligten Fabrikanten Kurt Altmann (Lichtenstein), C. A. Roscher (Markersdorf) und C. L. Wagner (Calw) bildete man den Namen "Alrowa". In der Folge stellte sich jedoch heraus, dass die Zusammenlegung der verschiedenen Firmen massive Schwierigkeiten mit sich brachte (11) und es kam zu Zerwürfnissen, deren Grund Außenstehende nur erahnen konnten. Man sagte damals Rathgeber ist herausgedrängt worden. (10) Zudem kam es zu großen Problemen mit der an dem Aktienpaket beteiligten Norddeutschen Wollkämmerei und Kammgarnspinnerei in Bremen, welche im Jahre 1931 zusammengebrochen war. Erst Mitte der dreißiger Jahre erholte sich die „Alrowa“ wieder. (11)

Die Fabrik in Markersdorf wechselte schließlich 1937 den Besitzer. Neuer Eigentümer wurde die Firma I. und E. Hartung. (1) Der Chemnitzer Firmeninhaber Hans Hartung meldete im September 1933 beim Gewerbeamt der Stadt Chemnitz eine Vertretung in Garnen und Floren an. Neben dem Garngroßhandel betrieb er so seit dem 1. Januar 1937 außerdem eine Seidenzwirnerei. Sie verfügte über eine Maschinenanlage zur Verarbeitung reiner Seide. 1945 verlegte verlegte Hans Hartung sein Unternehmen infolge eines Totalbombenschadens nach Markersdorf im Chemnitztal. (3) Nach Kriegsende, in den Jahren 1950 bis 1953, stellte die Firma Hans Hartung KG die Produktion auf die Herstellung von Polyamidseidenzwirnen um und führte Entwicklungsarbeiten für die Perlonherstellung durch. (1)

Im Juli 1961 stellte der Betriebsinhaber den Antrag auf staatliche Beteiligung. Der Betrieb arbeitete zum damaligen Zeitpunkt dreischichtig als Lohnzwirnerei und stellte fast ausschließlich DEDERON-Zwirne für die gesamte Textilindustrie her. Für die Zukunft war, in einer Sonderabteilung, die Produktion von chirurgischem Nahtmaterial vorgesehen. Aus diesem Grund führte die Gesellschaft in Zusammenarbeit mit dem späteren staatlichen Gesellschafter, dem Deutschen Institut für Arzneimittelwesen, Berlin, einschlägige Forschungs- und Entwicklungsarbeiten durch. Diese Forschungs- und Entwicklungstätigkeit beschäftigte sich mit der Herstellung von chirurgischem Nahtmaterial aus synthetischen Fasern. Die Weiterverarbeitung in verkaufs- und verwendungsfähige Produkte erfolgte über die Tochterfirma I. & E. Hartung, Markersdorf. (3)

1964 entwickelte die noch private Spezialzwirnerei Hartung gemeinsam mit dem VEB Nadelwerk Ichtershausen eine chirurgische Nadel, welche mit nur 0,03 Millimeter dickem synthetischen Nähmaterial bestückt ist. Diese Nadel wurde speziell für Operationen an der Hornhaut des Auges geschaffen. Stolz berichtete die Tageszeitung "Neues Deutschland" am 07.08.1964, dass 75% der Fertigung aus Ichtershausen exportiert werden. (4)

Zum 1. Januar 1965 erfolgte die Umwandlung des Privatbetriebes in eine Kommanditgesellschaft mit staatlicher Beteiligung. Verbunden war dies mit mehrjährigen Produktionsumstellungen und der Bewältigung von Rohstoffproblemen. (3)

1966 lag die Hauptproduktion in der dreischichtig arbeitenden Etagenzwirnerei. 1968 begann dann eine Umstellung auf starke Garne, nachdem die Firma seit Jahren nur feinste Zwirne mit hohen Drehungen erzeugt hatte. Für 1970 war die Aufnahme einer Großproduktion geplant. Zum 28. April 1972 erfolgte die Übernahme des Betriebes ins sogenannte Volkseigentum. In diesem Zusammenhang verließ der Inhaber Hans Hartung altersbedingt das Unternehmen. Von nun an firmierte der Betrieb als VEB Markersdorfer Seidenzwirnerei, wurde aber dann zum 1. Januar 1975 dem VEB Garnveredlungswerke Sehma als Werk 6 angeschlossen. (3) In Markersdorf wurde nun chirurgisches Nahtmaterial für Krankenhäuser der DDR und für den Export hergestellt. (8)

1989 waren im Markersdorfer Werk 6 des VEB Garnveredlungswerk Sehma 60 Mitarbeiter beschäftigt. Zu dieser Zeit war der VEB Garnveredlungswerke Sehma noch ein bedeutender Hersteller von Texturseide, Stickzwirn und Nähseide.

Nach der Wende erfolgte im November 1990 die Umwandlung des volkseigenen Betriebes in die Seiden- und Garnveredlung GmbH, Sehma, die schließlich 1994 mit seinen Betriebsteilen in Liquidation ging. (5) Bereits zum 01. Januar 1991 wurden allerdings schon mehrere Werke, darunter auch das Werk 6 in Markersdorf, stillgelegt. Am 25. August 1992 erfolgte dann die Reprivatisierung des Objektes in unserem Ort. (9)

Die Gebäude am Standort in Markersdorf wurden in den 1990er Jahren zum großen Teil abgerissen und es erfolgte An- und Neubebauung.

So findet man heute zum einen die 1993 gegründete Firma KFS-Bauelemente GmbH der Brüder Franz und Heino Knipping an dieser Stelle. Die Firma zählt zu einem der führenden Hersteller von Fenstern, Türen und Rollläden aus Kunststoff, Holz und Aluminium sowie dem passendem Zubehör und Ersatzteilen. (6)

Weiterhin findet sich auf dem Gelände die Firma M. Schneider GmbH, die Oberflächenveredlung von Halb- und Fertigprodukten aus Metallen jeglicher Art durchführt.

gebaeude-kfs-2020-1920px Teilansicht des alten noch bestehenden Fabrikgebäudes, Firma KFS-Bauelemente GmbH (2020)


Quellen:

  • (1) 500 Jahre Markersdorf - Broschüre 1989
  • (2) Mitteilungsblatt Claußnitz 22. November 2016
  • (3) https://www.archiv.sachsen.de/archiv/bestand.jsp?oid=09.15.01&bestandid=31145
  • (4) Tageszeitung "Neues Deutschland" vom 07.08.1964
  • (5) https://www.archiv.sachsen.de/archiv/bestand.jsp?oid=09.15.01&bestandid=31159
  • (6) www.kfs-bauelemente.de
  • (7) http://dingler.culture.hu-berlin.de/article/pj230/ar230098
  • (8) http://sehma.selfhost.info/unger/gvs_sehma_3.htm
  • (9) http://sehma.selfhost.info/unger/gvs_sehma_2.htm
  • (10) Emil Müller, Köthensdorf-R., 1939 / Chemnitztaler Geschichte(n) ISBN 3-937496-16-5 (1. Auflage 2006)
  • (11) F. A. Kreißig & SohnFIRMENCHRONIK (https://www.weberei-kreissig.de/chronik/files/assets/common/downloads/LOOKBOOK%20BSV.pdf)
  • Postkarte Markersdorf Tricotagenfabrik C. A. Roscher Nachf. / Restaurant "Germania" (eigenes Archiv)
  • Briefkopf der Firma C. A. Roscher Nachf. (eigenes Archiv)

© F. Schrammm 2021